Mit der Deutschen Bahn direkt in die Servicewueste

Mit der Deutschen Bahn direkt in die Servicewueste

Über den Sinn und Unsinn von Service-Standards :o)

Ein Paradebeispiel für sinnlose Serviceregularien, die sich so gar nicht nach den tatsächlichen Bedürfnissen der Kunden richten, erlebte ich auf meiner Reise mit der Deutschen Bahn von Hanau nach München.

Ich stieg mit vielen Menschen in einen überfüllten und verspäteten Zug mit stickiger Luft. Ich schob mich langsam an auf dem Boden sitzenden Menschen vorbei um ein ruhigeres Plätzchen mit besserer Luft zu finden.

Oh wie gut – das nächste Abteil sah leer aus! Beim Betreten sah ich erstaunt dass alle Sitzplätze mit einem rotweißen Band abgesperrt waren. Ich ging bis ans Ende durch und während ich mich noch über die Absperrung wunderte, bemerkte ich, wie angenehm kühl die Luft in diesem Abteil war. Im nächsten Wagen erwartete mich dieselbe Situation wie in den bereits durchquerten Abteilen. Es war vollgestopft, stickig und die Menschen saßen auf Ihren Koffern oder auf dem Boden....

Mutige Regelbrecher für mehr Kundenservice DRINGEND gesucht!

Ich fragte mit einem Augenzwinkern in die Runde: „Ist das Abteil hinter mir wegen Renovierung geschlossen?“

Eine Frau schüttelte den Kopf und zeigte auf einen Zettel an der Glasschiebetür und sagte: „Klimaanlage defekt!“.

„Sehr seltsam – ich hätte schwören können, dass es in diesem Abteil kühler war als in denen, die ich zuvor durchquert habe.“ , sagte ich, drehte mich um und ging zurück ins leere, kühle Abteil bis genau in die Mitte. Dort setzte ich mich in die einzig erkennbare Lücke – einen Platz der von der Absperrung verschont geblieben war.

Klar, dass mir erstaunte, entrüstete und auch ängstliche Blicke folgten...

Der mentale Kampf zwischen "Traue ich mich und setzte mich über den Zettel an der Tür hinweg" oder "Ich breche lieber keine Regeln und bleibe weiter hier stehen" - war deutlich aus einigen frustrierten Gesichtern abzulesen.

Erst kurz vor dem nächsten Bahnhof betrat wieder jemand das Abteil.

Ein Mann mit seiner Frau und zwei quengelnden Kindern im Schlepptau, blieb in meiner Nähe stehen und blickte wehmütig auf einen Viererplatz mit Tisch in der Mitte und sagte „Wie schade – unsere schönen Plätze!“

Ich schaute ihn an und fragte: „Warum sitzen Sie denn nicht hier?“ Und ich erfuhr, dass sie vom Schaffner wegen der defekten Klimaanlage aufgefordert wurden das Abteil zu verlassen und dass er und seine Familie stehen mussten und dass sie jetzt froh waren, endlich aussteigen zu können. Hm – ich fand es hier – auch ohne Klimaanlage – recht angenehm....

Darf ich bitte als mündiger Bürger selbst entscheiden, wann es mir zu warm oder zu kalt ist!?

Im nächsten Bahnhof stiegen wieder viele Menschen zu. Eine Frau zog Ihren Koffer an mir vorbei und fragte: „Warum ist denn hier abgesperrt?“.

„Anscheinend ist die Klimaanlage defekt – ich sitze hier allerdings schon einige Zeit und finde es ganz angenehm“, sagte ich. Die Frau nickte und warf ihren Koffer schwungvoll oben auf die Ablage, kletterte über das rotweiße Absperrband und ließ sich seufzend in den Sitz sinken. Ich lächlte.

 

Immer mehr Menschen kamen ins Abteil – stellten die immer gleiche Frage und ich gab die immer gleiche Antwort. Das Absperrband bekam mehr und mehr Lücken, wurde abgerissen und lag letztendlich auf dem Boden. Das Abteil füllte sich. Es herrschte eine angenehme Atmosphäre. Mein Lächeln war einem breiten Grinsen gewichen.

Bei der Unterhaltung mit einer Mitreisenden erfuhr ich, dass die Sperrung des Abteils und die Kenntlichmachung der Ursache ein Servicestandard sei, um zu vermeiden, dass Reisende ihr Geld zurück fordern. Waaaas?? Ich bekam große Augen!

Ist tatsächlich die Angst vor zusätzlichen Kosten der Grund für sinnfreie Serviceregeln?

Und nahm es die Deutsche Bahn tatsächlich in Kauf, zahlreiche andere Kunden zu verärgern, nur um sich vor den wenigen „Verrückten“ – bitte entschuldigen Sie diese Ausdrucksweise - zu schützen, die nichts Besseres zu tun hatten, als wegen eines technischen Defekts ihr Geld zurück zu fordern?

Für mich stellt sich in erster Linie die Frage, ob sowohl die Mitarbeiter der Deutschen Bahn als auch deren Kunden wie „mündige Bürger“ und „intelligente Wesen“ behandelt werden. Ich bin überzeugt, dass beide durchaus in der Lage sind – situationsabhängig und eigenverantwortlich – zu entscheiden, ob die Sperrung eines Abteils in einem überfüllten Zug sinnvoll und im Sinne der Reisenden ist – oder eben nicht! Ich bitte um etwas mehr Vertrauen!

Wie wäre es denn, statt der Sperrung des Abteils, mit einer schlichten Entschuldigung und der Möglichkeit der Wahlfreiheit??

Das ist eine echte Option im Sinne des Kundenservice!

Zum Beispiel könnte auf dem Aushang etwas in dieser Art stehen:

„Liebe Reisende, wir entschuldigen uns dafür, dass in diesem Abteil die Klimaanlage nicht funktioniert. Wir arbeiten bereits an der Lösung!

Trotzdem möchten wir diese Plätze für Sie bereithalten. Bitte entscheiden Sie selbst, ob Sie hier sitzen möchten und das Raumklima für Sie angenehm ist oder ob Sie lieber in ein klimatisiertes Abteil wechseln.“

So oder ähnlich würde mir das Reisen mit der Deutschen Bahn mehr Freude bereiten.

Einige Reisende hatten noch eine Auseinandersetzung mit dem Schaffner befürchtet, sich dann jedoch entschieden, dieses Risiko zugunsten eines Sitzplatzes in Kauf zu nehmen.

Erfreulicher Weise waren die beiden Schaffnerinnen sehr souverän und haben es verstanden, das rissige Absperrband schnell und diskret aus dem Abteil zu entfernen.

Wie mir schien, sichtlich erleichtert darüber, dass sich dieses Thema durch selbständig denkende und handelnde Menschen gelöst hatte.

Liebe Deutsche Bahn – was wäre als Kunde Ihre erste Wahl gewesen?

Der Fußboden des Zugdurchgangs oder ein bequemer Sitz im Abteil?

Ich bitte Sie herzlich und fordere Sie auf, sinnfreie Standard-Serviceabläufe zugunsten Ihrer Kunden zu optimieren. Lassen Sie uns bitte lieber „freiwillig schwitzen“ statt „auf dem Boden sitzen“. :o)

Liebe Leser, ich freue mich auf Ihre Ideen und Anregungen, wie das Reisen mit der Deutschen Bahn NOCH angenehmer werden kann.

Bitte senden Sie mir Ihre Nachricht über die Kommentarfunktion unter diesem Artikel! Vielen Dank!

2 Comments
  1. Januar 13, 2017 at 18:33

    Liebe Angelika Wagener, herzlichen Dank für Ihren Beitrag! Mit Ihrem Wunsch nach verbesserter Kundenkommunikation sprechen Sie nicht nur mir, sondern sicher auch vielen anderen Bahnkunden aus der Seele. Da Reisen für viele Menschen eher eine Stresssituation darstellt, ist gerade hier die ausführliche Information der Reisenden höchst relevant. Im Idealfall wird nicht nur das "Problem" kommuniziert sondern auch gleich die Lösung bzw. HIlfestellung. Einfach eine Kommunikation von Menschen für Menschen. Herzlichst, Daniela Pitzer

  2. Angelika Wagener
    September 28, 2016 at 09:02

    Als Mensch ohne Führerschein bin ich häufig auf die Bahn angewiesen. Ich könnte ganze Romane zum Thema "Servicewüste Bahn" schreiben. Was mich am meisten nervt, ist die mangelnde Kommunikation mit den Reisenden. Ein Beispiel aus jüngster Zeit: Ich will von Dortmund Hbf mit dem ICE nach Düsseldorf. Es wird angesagt, dass wegen einer Streckensperrung, Grund "Menschen im Gleis", der Zug 30 Minuten Verspätung hat. O.k., da ich einen der wenigen Sitzplätze auf dem Bahnsteig ergattert hatte, blieb ich sitzen und vertrieb mir die Zeit. Es kamen weitere Durchsagen, dass auch andere Züge wegen den selben Grund erhebliche Verspätungen hatten. Das Chaos war perfekt. Ganze 3 Minuten vor Abfahrt meines ICEs wurde uns Kunden dann mitgeteilt, dass der Zug auf einem anderen Gleis abfahren würde. Also mit schwerem Koffer (in Dortmund gibt es auf den Fernzugbahnsteigen keine Aufzüge oder Laufbänder, nicht mal überall Rolltreppen) die Treppen hinunter, an einem anderen Bahnsteig die Treppen wieder rauf. Ich bin eine ältere, etwas gehbehinderte Dame und für mich war das sehr anstrengend. So macht das Reisen mit der Bahn keinen Spaß und bei den hohen Preisen schon mal garnicht. "Menschen im Gleis" habe ich in letzter Zeit sehr oft gehört. Der Grund sind aber wohl eher die maroden Gleisanlagen der Bahn. Da wurde in der Vergangenheit viel kaputtgespart, was sich jetzt rächt. Liebe Deutsche Bahn Ihr braucht dringend mal eine Beratung, auf allen Gebieten.

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